Ernährungsberatung für Menschen mit Behinderung

Von Margarete Nowag*

Essen und Trinken hat für viele Menschen und auch für Menschen mit Lerneinschränkung oder geistiger Behinderung einen ganz besonderen Stellenwert.

Ernährung meint die tägliche Aufnahme von Nährstoffen wie Fetten, Eiweiß und Kohlenhy­draten sowie Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen in einem persönlich angemessenen Maß. Der Energiebedarf eines jeden Menschen orientiert sich an den Körpermaßen, der Aktivität, dem Geschlecht, dem Alter und besonderen Erkrankungen. Ist die Bewegung eingeschränkt, sinkt der tägliche Bedarf. Bei viel Bewegung oder Spastiken braucht man mehr Energie.

Essen beschreibt den emotionalen Teil der Nahrungsaufnahme: Genuss, Geschmack und Vorlieben. Essen kann aber auch zum Ausgleich von Gefühlen dienen. Im Leben von Menschen mit Behinderung erfüllen Mahlzeiten viele unterschiedliche Funktionen. Oft sind sie als freudiges Ereignis Rhythmusgeber des Tages. Außerdem können sie Stress abbauen und für Entspannung sorgen.

Tagesstruktur und Selbstbestimmung

Die Tagesstruktur von Menschen mit Behinderung ist oft in besonderer Weise durch die Mahlzeiten bestimmt. Bei Berufstätigen und in Wohngruppen sind die Mahlzeiten meist gut geregelt. Hingegen verlieren selbstständig Lebende und nicht mehr Berufstätige häufig diese Struktur. Eine fehlende Tagesstruktur erhöht so das Risiko für Übergewicht oder Mangelernährung.

Essen und Trinken ist kulturell und gesellschaftlich geregelt. Zu bestimmen, was, wie viel, mit wem und warum ich esse, ist Teil der individuellen Selbstbestimmung. Dies führt möglicherweise zu Konflikten mit Betreuer*innen und Angehörigen, die dann wiederum selbst Beratungsbedarf haben.

Das Risiko für Übergewicht ist bei Menschen mit geistiger Behinderung ungleich höher als bei Menschen ohne Behinderung. Das hat viele Gründe: zuckerreiche Kost und Essen mit zu viel Kalorien, verbunden mit Bewegungsmangel, stressbedingtem Essen, den Nebenwirkungen von Medikamenten oder auch Schlafmangel und Schlafstörungen. Manche Behinderungen können auch durch hormonelle Besonderheiten oder aufgrund von Bewegungseinschränkungen Übergewicht zur Folge haben.

Individuelle Bedürfnisse

Ernährungsberatung sollte sich immer an den individuellen Bedürfnissen orientieren. Einer der ersten Schritte besteht darin, individuell angemessene Portionsgrößen zu finden. Die Portionen lassen sich mit visuellen Methoden wie dem Handprinzip (zum Beispiel eine Handvoll Obst) gut veranschaulichen. Auch der Sättigungswert der einzelnen Mahlzeiten ist von entscheidender Bedeutung. Die Sattmacher unter den Nahrungsmitteln wie ballaststoffreiche Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und Gemüse oder auch Nüsse sollten bekannt sein und probiert werden.

Hunger und Sättigung wahrzunehmen ist wichtig. Die Begriffe können umschrieben und Gefühle benannt werden, zum Beispiel: „Mein Bauch fühlt sich gespannt an.“ Auch die Anzahl der Mahlzeiten, der Mahlzeitenrhythmus und Trinkgewohnheiten spielen eine Rolle. Dabei sollten Alternativen angeboten werden, zum Beispiel Früchtetee statt Limo.

Das Interesse für die Vielfalt an Lebensmitteln und das Kochen lässt sich auf unterschiedliche Art wecken. Hilfreich sind etwa gemeinsame Einkäufe und Kochgruppen oder Kochbücher mit ansprechenden Bildern.

Doch auch wenn die Ernährungsweise sich mit der Beratung ändert, darf der Genuss nicht zu kurz kommen. Denn Genuss ist nicht verhandelbar und sehr individuell.

* Zur Autorin

Margarete Nowag ist Diplom-Oecotrophologin und Systemische Therapeutin. Sie bietet Ernährungsberatung in Leichter Sprache an. 2014 gründete sie das Bildungshaus Hamburg, wo sie Seminare für Ernährungsexpert*innen mit dem Schwerpunkt Ernährung im Leben mit Behinderung durchführt. Ihr Präventionskurs Gesund und Fit© für die Zielgruppe Menschen mit Behinderung ist bundesweit zertifiziert.