„Lasst Euch nicht unterkriegen!“

Von Victoria Amwenyo

Ein herzliches Hallo und danke an alle, die dies lesen und an meinen Gedanken teilhaben. Lasst mich euch eine kleine Geschichte erzählen, die mich aus anderen als den üblichen Gründen wünschen ließ, nicht blind zu sein.

2009 verbrachte ich einige Wochen in einer Traumaklinik. Leider wäre ich fast mit einem neuen Trauma nach Hause gegangen. Ich war bereits seit zwei Wochen in der Klinik, als ich einer Ärztin mitteilte, dass ich meine Mobilitätstrainerin bitten wolle, mir einige Wege auf dem Gelände beizubringen. Die an dem Nachmittag diensthabende Ärztin hörte sich meine freundlich vorgetragenen Worte an und erklärte, das sei unmöglich. Ich könne nur Leistungen in Anspruch nehmen, die innerhalb der Klinik erbracht werden. Sie schien sicher, dass ich nicht nachhaken würde. Schließlich war sie diejenige, die sich auskannte. Immer noch freundlich erklärte ich, dass sie theoretisch recht habe, ich aber in der Lage sein wolle, mich allein und eigenständig von einem Ort zum anderen zu bewegen.

Ich hatte die Nase voll von dem Hickhack

Das Personal auf meiner Station kümmerte sich nicht darum, dass ich zu meinen therapeutischen Angeboten gelangte. Gleich zu Anfang, als ich bat, mich zur Tanztherapie zu begleiten, hieß es, ich könne ja meine Mitpatientinnen fragen. Das tat ich, aber sie gingen ohne mich los, und ich hatte die Nase voll von dem Hickhack.

Umso praktischer, dass ich noch ein paar Stunden Mobilitätstraining übrig hatte. Ich wollte meine Trainerin bitten, zu kommen und mir die Wege zu erläutern, damit ich sie selbstständig gehen konnte und nicht auf Hilfe angewiesen war, die man mir hier eindeutig nicht geben wollte. Also erklärte ich der siegessicheren Dame, dass sie theoretisch recht habe, dass allerdings die Leistung, die ich benötigte, nicht erbracht wurde. Und dass ich ohne Probleme zu meinen Anwendungen kommen und dafür meine Mobilitäts-Trainings-Einheiten einsetzen wolle.

Jetzt wurde die Ärztin streng. Ihre Stimme bekam den Tonfall eines Hammers im Gerichtssaal. „Fall abgeschlossen!“, hallte es durch den Raum. Ich stand in der Tür und lauschte. An die Worte erinnere ich mich kaum noch, der Inhalt aber steht mir klar vor Augen: Das geht nicht! Ich war weder ärgerlich noch mutlos. Ich beharrte lediglich auf meinem Standpunkt. Allerdings änderte auch ich meinen Tonfall. Die Sache begann mir sogar Freude zu bereiten.

Wir müssen uns durchsetzen

Schließlich erklärte mir die Ärztin, dass, wenn ich rausgehen wolle, zu einer Anwendung oder zu einem Spaziergang, ich doch das Personal um Hilfe bitten könne. Ich dachte an die letzten beiden Wochen und fragte, ob sie sich die Zeit nehmen würde, mich zu begleiten. Oder jemand anderes hier. Jetzt schwieg sie. – Ein paar Tage später kam meine Mobilitätstrainerin. Ich brauchte nur zwei Stunden, um einen Überblick über die wichtigsten Wege zu bekommen.

Situationen wie diese – da werden mir die meisten Betroffenen zustimmen – erleben Menschen mit Behinderung mehr als einmal in ihrem Leben. Situationen, in denen sie sich durchsetzen müssen, um ein Recht, eine Hilfe oder den gebührenden Respekt zu bekommen. Diese Grundfrustration, teile ich mit vielen Menschen. Der Ärger über die Hilflosigkeit, die man empfindet, wenn man immer wieder auf Türen stößt, die man einrennen muss. Das kann sehr zermürbend sein.

Als alleinerziehende blinde Mutter kenne ich das Gefühl. Ich habe mir meine Gedanken gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass – auch wenn wir Menschen mit Behinderung oft resignieren möchten, weil die Hindernisse unüberwindbar scheinen oder wir mit unseren Belangen, Sorgen und Wünschen in der Familie, im Beruf, in Behörden nicht gehört werden – es etwas gibt, was mich sehr stolz macht.

Das macht mich sehr stolz

Stolz macht mich, dass ich für mich und meine Belange einstehe. Das gibt mir auch in schwachen Momenten Auftrieb. Denn jedem Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, steht das gut zu Gesicht: sich selbst nicht zu verlieren, auch wenn es einem die Umwelt nicht leichtmacht. Auch Menschen ohne Einschränkungen müssen sich im Leben durchsetzen, vielleicht können sie sogar von uns Menschen mit Behinderung lernen.

Ich nenne das die Kraft des inneren Neinhorns. Das Neinhorn ist eine Figur aus dem Kinderbuch von Mark Uwe Kling. In der schönen Welt der Fabelwesen hat das Einhorn keine Lust, zu allem Ja und „O wie schön!“ zu sagen. Es sagt oft Nein und wird daher „Neinhorn“ genannt. Wir können froh sein, ein inneres Neinhorn zu haben. Damit wir für das, was wir wollen, einstehen. In diesem Sinne: Lasst euch nicht unterkriegen! Bleibt euch treu! Denn nur, wenn wir wissen, was wir wollen und brauchen, können wir anderen helfen und sie dabei unterstützen, das auch für sich zu erreichen.

Victoria Amwenyo ist eine Klientin des Betreuungsdienstes.